AfD und Remigration: So plump hat noch keine Warnung vor der Partei ausgesehen (2024)

Der andere Blick

Im Netz kursiert ein KI-generiertes Filmchen über den Wahlsieg der «Blauen» und das Ende der Bundesrepublik. Es ist derart plumpe Propaganda, dass sich die Rechtspartei freuen kann.

Marc Felix Serrao, Berlin

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Die «Blauen» regieren, und Deutschland ist tot: In den leeren Strassen stapelt sich der Müll, in den Fabriken rosten halbfertige Karosserien vor sich hin, die Städte verwildern. Diese und weitere dystopische Bilder stammen aus einem Video mit dem Titel «Oma, was war noch mal dieses Deutschland?», das gerade im Netz kursiert und vor den Folgen einer rechten Machtübernahme warnt. Die beiden Protagonistinnen sind KI-generiert, ein Mädchen und seine Grossmutter, die sich 2060 vor einer futuristischen Behausung irgendwo in Nordafrika unterhalten. Hierher sind in dem Filmchen am Ende auch die Deutschen geflohen.

«Oma, wie können wir die AfD gross machen?» Das wäre der bessere Titel. Unter den vielen plumpen Versuchen, dem Höhenflug der Rechtspartei etwas entgegenzusetzen, ist dieses Filmchen ein neuer Tiefpunkt. Seine dreieinhalb Minuten wären eigentlich nicht der Rede wert, wenn ihr Inhalt nicht mustergültig für einen Umgang mit der AfD stünde, der dieser illiberalen politischen Kraft mehr nützt als schadet. Nazi-Vergleiche gehören schon länger dazu, politische «Brandmauern» ebenfalls.

Das ist tatsächlich echt und ernst gemeint

Die Botschaft des Videos ist so überdreht, dass man sich fragt, ob das Ganze eine False-Flag-Aktion rechter Influencer sein könnte, um AfD-Kritiker dumm dastehen zu lassen. Im Abspann erkennt man dann: Nein, das ist tatsächlich echt und ernst gemeint.

Zu den Machern und Unterstützern des Videos zählen bekannte deutsche Influencer, Comedians, Berater und Journalisten sowie die «Hamburger Morgenpost». Micky Beisenherz, der mit «Apokalypse & Filterkaffee» einen der erfolgreichsten Nachrichten-Podcasts des Landes betreibt, gehört laut Abspann zu den Co-Produzenten. Die Politologin Florence Gaub hat demnach der Nachrichtensprecherin ihre Stimme geliehen, die Schauspielerin Anna Thalbach der Grossmutter.

Heute, erklärt die KI-Oma aus der Zukunft, sage man «Exodus», aber damals habe man «Remigration» gesagt. Der Film dreht also die Berichterstattung von «Correctiv» über den angeblichen «Geheimplan» von AfD-Politikern, Neonazis und rechtsradikalen Unternehmern weiter. Diese planten «nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland», hiess es Mitte Januar. Die manipulative Dramatisierung der Geschichte ist seither oft beschrieben und kritisiert worden, auch in der NZZ.

Die Macher des Oma-Videos zeigen nun die Umsetzung und die Folgen des vermeintlichen Geheimplans: Es sind, in dieser Reihenfolge: Abschaffung der Demokratie, Verarmung, Kollaps.

Die «Blauen» – so heisst die Partei wohl aus juristischen Gründen im Video – errichten nach ihrem Wahlsieg eine Diktatur in Deutschland. Sie lassen nur noch deutsche Filme laufen, zensieren das Internet und deportieren alle Menschen ohne deutschen Pass – was zur Folge gehabt habe, dass Arztpraxen, Schulen und Universitäten fast alle hätten schliessen müssen, wie sich die Oma in der Zukunft traurig erinnert.

Dazu sieht man ein Wartezimmer mit autochthonen deutschen Senioren, denen eine Arzthelferin die Botschaft übermittelt: «Doktor Jamil wurde heute remigriert.» Eine alte Dame schaut den Zuschauer frontal an: «Oh nein, jetzt auch noch der Doktor!»

Nur die Autobahnen, heisst es, hätten noch lange funktioniert. Das sei den Blauen «irgendwie wichtig» gewesen.

Autobahn, Hitler, alles klar

In dieser Bemerkung steckt die ganze geistige Tristesse. Der Ausbau der deutschen Autobahnen war im Nationalsozialismus bekanntlich ein Anliegen Adolf Hitlers. Also hängt auch das Herzblut jener Partei daran, die man als dessen politische Nachfolgerin darstellen will, so die implizite Botschaft.

Die Erfinder der KI-Oma demaskieren die AfD nicht, sie dämonisieren sie. Ersteres würde eine Auseinandersetzung mit dem Personal, dem Programm und den politischen Reden voraussetzen. Letzteres ist die Variante für den schnellen Applaus – allerdings nur in jenem progressiven Milieu, das noch nie zwischen «rechts» und «Nazi» unterscheiden konnte.

Flankierend zur Dämonisierung der «Blauen» stellen die Macher des Videos das zentrale Thema Migration als ausnahmslos gute Sache dar, die das Land in Form von eingewanderten Ärzten, Pflegern und anderen fleissigen Fachkräften am Laufen hält. Diese Migration gibt es, natürlich. Aber es gibt auch die andere, die überproportional viele ungebildete Männer aus archaischen Gesellschaften nach Deutschland gebracht hat. Es gibt seither mehr Gewalt, mehr Sexualverbrechen, und es gibt einen radikalen Islam, dessen Anhänger immer selbstbewusster auftreten.

Das deutsche Publikum ist mehrheitlich nicht doof. Es erkennt, wenn die Wirklichkeit vor seinen Augen propagandistisch verbogen wird. Die AfD kann sich freuen.

Wer die Rechtspartei treffen will – wofür es viele gute Gründe gibt –, der muss sie inhaltlich stellen. Wie so etwas aussehen kann, hat der thüringische CDU-Chef Mario Voigt kürzlich im TV-Duell gegen Björn Höcke gezeigt. Das war vielleicht nicht die grosse Entzauberung; dafür hatte der Rechtsaussen zu viel Kreide gefressen und wies zu viele angebliche Gedächtnislücken auf. Aber der Christlichdemokrat hat den heimlichen AfD-Chef an diesem Abend mehrmals erfolgreich gepiesackt.

Oder die deutschen Familienunternehmer: Der Verband hat sich die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der AfD gerade erst Punkt für Punkt vorgenommen, sei es zur EU-Mitgliedschaft, zur Energieversorgung oder zur Zahl von Kitas. Der Ton der Analyse ist trocken und das Urteil scharf: «Entgegen den eigenen Behauptungen hat sich die AfD entschieden gegen die Interessen des familiengeführten deutschen Mittelstands und zum Schaden des Standorts Deutschland aufgestellt.»

Natürlich ist das Publikum bei solchen Analysepapieren kleiner als bei Influencer-Videos. Aber lieber eine ernstzunehmende Kritik mit geringer Reichweite als eine virale Oma, die sich als heimliche Helferin der «Blauen» entpuppt.

374 Kommentare

Dieter Krüger

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Auch nach Lektüre dieses Beitrags: man kann nicht oft genug betonen, dass die Wähler die AfD nicht wegen ihres tollen Programms wählen oder weil sie von diesen Leuten eine Lösung der Probleme erwarten. Sie werden aus Protest gegen die übrigen Parteien gewählt, weil sie nicht nur kein Problem lösen, sondern diese Schieflagen mit ihrer Politik noch vergrößern und jede Kritik daran mundtot zu machen versuchen. Die Mehrheit der AfD-Wähler wünscht eine demokratische Alternative zum Kartell von CSU bis Linkspartei. Sollten sich CDU und Liberale mal endlich entschließen, aus dem Schatten von A.M. herauszutreten und sich der Interessen der Mehrheit der normalen Bevölkerung annehmen, wäre das das beste Mittel gegen die AfD. So schlicht wie dieses Propagandafilmchen „gegen Rechts“, so schlicht und dennoch gefährlich sind die Zukunftsentwürfe des linksgrünen Establishments. Und das merken viele Wähler der AfD.

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K. H.

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Einen Film wie «Oma, was war noch mal dieses Deutschland?» kann man weitaus sinnvoller nach 4 Jahren grün-rotem Gesellschaftsumbau produzieren.Wie sieht D nach 4 Jahren mit mehr Abgaben, Geboten, Verboten, Einschränkungen, Teilenteignungen von Privateigentum, Einschränkungen der Meinungsfreiheit, Ausbau des Verfassungsschutz + BKA, Gendergaga, Kriminalitätssteigerungen, obergrenzenloser Massenmigration, usw. aus?

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